„Aus der Seele muss man spielen und nicht wie ein abgerichteter Vogel“
Dieser Ausspruch von Carl Philipp Emanuel Bach kam mir in den Sinn beim Hören des Orgelspiels von Sigrid Wolfbauer-Gartner bei ihrem Konzert am 30.07.2024, welches wir ganz kurzfristig anberaumt hatten.
Sigrid Wolfbauer-Gartner eröffnete das Konzert mit dem Präludium a-Moll
BuxWV 153 von Dietrich Buxtehude (1637–1707), einem der größten und virtuosesten Orgelkomponisten und Begründer der norddeutschen barocken Orgelkompositionen. Glücklicherweise finden sich Werke von Buxtehude regelmäßig in den Programmen der Orgelkonzerte.
Das Präludium BuxWV 153 besteht aus 4 Abschnitten: Präludium, Fuge I, Fuge II und Toccata.
Sigrid Wolfbauer-Gartners Spielweise zeigte sich äußerst frisch und zeichnete sich neben historisch informiertem Spiel durch enorme Spielfreude, man könnte schon sagen, Spielwitz aus. Buxtehudes sehr abwechslungsreicher, temperamentvoller Kompositionsstil wurde sehr gut interpretiert.
Als zweites Stück stand Georg Böhms (1661-1733) „Vater unser im Himmelreich“ mit Verzierungen nach Johann Gottfried Walther auf dem Programm.
Georg Böhm wurde vor allem bekannt durch seine ausdrucksvollen, mit vielen Verzierungen geschmückten Choralbearbeitungen und sein Orgelchoral „Vater unser im Himmelreich“ ist ein typisches Beispiel dafür. Es zeigt eine fast ins Übermaß gesteigerte Kolorierung des cantus firmus, beeinflusst von Johann Gottfried Walther. Gottfried Walther (1684–1748) mütterlicherseits mit Johann Sebastian Bach verwandt, schrieb gerne Instrumentalkonzerte anderer Komponisten auf die Orgel um und auch frühe Orgelwerke und Klaviersuiten von Bach wurden von ihm beeinflusst.
Mit Sigrid Wolfbauer-Gartners organisch atmendem Spiel des „Vater unser im Himmelreich“ breitete sich überaus empfindsam eine Art Orgelmeditation im Gotteshaus aus. Die betörende Tonfülle beeindruckte das Publikum sehr.
Anschließend folgten zwei Bach-Kompositionen.
Als erstes „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ BWV 663, einen von Bachs Achtzehn Chorälen von verschiedener Art (Leipziger Choräle, BWV 651–668). Text und Melodie des Chorals „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr“ stammen von Nicolas Decius, der diesen als Gloria für die reformatorische deutsche Messe schrieb.
Der im Konzert musizierte Choral präsentierte den Cantus firmus im Tenor, über und unter dem sich die anderen Stimmen in Form eines Trios entfalten.
Sigrid Wolfbauer-Gartners Spiel zeigte besonders deutlich Bachs textausdeutende Bearbeitung, gut erkennbar am Ende der Verszeilen, die den Gedanken von „groß‘ Fried“ und „all Fehd hat nun ein Ende“ in der ersten Strophe des Choraltextes widerspiegelte.
Abschließend folgte Johann Sebastian Bachs (1685–1750) „Piece d’Orgue“ G-Dur
BWV 572.
In Bachs dreiteiliger Fantasie werden drei recht unterschiedlichen Abschnitte Très vitement („Sehr schnell“), Gravement („ernsthaft, feierlich“), Lentement („langsam“) nahtlos miteinander verbunden. Sie stellt innerhalb Bachs Werken ein Unikum dar, insbesondere mit den bei ihm sonst unüblichen französischen Tempobezeichnungen.
Albert Schweitzer hat die Fantasie einmal so gedeutet, dass die drei Teile die menschlichen Alterstufen darstellen: Im ersten Teil (très vitement) haben wir den jungen Springinsfeld vor uns, bis hin zum dritten Teil (lentement), wo sich die Akkorde in arpeggiohaften Figuren über einen langsam herabsteigenden Bass auflösen, das hohe Alter. So schließt dieses Stück von Bach das ganze Orgel-Recital würdig ab und fasst es geistig zusammen.
Und der großartige Mittelteil ist ein Grand Plein Jeu, also die „Volle Orgel“ der kassisch-französischen Barockorgel mit üppig grundierender Registrierung.
Sigrid Wolfbauer-Gartner spielte diese wunderbare Fantasie ausdrucksstark mit Leichtigkeit und Energie, vital und dynamisch mit den Möglichkeiten der Registrierung unserer Orgel. Alles erschien wunderbar überlegt und wurde hervorragend und virtuos interpretiert.
Nach allem, was ich schon an Orgelkonzerten erleben durfte, gehörte dies hier mit Sicherheit zu den Interpretationen, die ein Sternchen extra verdient haben.
Vielen herzlichen Dank Frau Sigrid Wolfbauer-Gartner für diesen beeindruckenden Spätnachmittag.
Text und Bilder: Richard Eschlbeck